Internationaler Debüt-Spielfilmwettbewerb

Internationaler Debüt-Spielfilmwettbewerb

Es werden immer mehr!

Die beiden Spielfilmwettbewerbe, die das Frauenfilmfestival jährlich wechselnd in Dortmund und Köln ausrichtet, bieten sowohl den arrivierten Filmemacherinnen als auch dem Regie-Nachwuchs eine beachtete Plattform. In Köln sind 2012 wieder acht Talente zu Gast, die ihren ersten langen Spielfilm präsentieren – mit der Chance auf ein Preisgeld von 10.000 Euro. Ziel ist es, die Regisseurinnen zu einem kontinuierlichen Filmschaffen zu ermutigen. Wir möchten Karrieren unterstützen wie die von Claudia Llosa. Die Peruanerin gewann 2006 in Köln den Debüt-Spielfilmpreis, 2009 wurde sie für ihren zweiten Spielfilm La Teta Asustada mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, 2012 erhielt sie den Teddy Short Film Award in Berlin.

Die gute Nachricht ist, es werden immer mehr! Die Liste der Vorauswahl war mit mehr als 150 aktuellen Debüt-Spielfilmen aus über 50 Ländern so lang wie nie zuvor. Banal, aber wahr: Die Filme sind so unterschiedlich, wie sie zahlreich sind. Unmöglich, von klaren Trends zu sprechen. Dennoch verdichten sich bestimmte Themen in diesem Jahrgang: Sur la planche, der Titel des marokkanischen Beitrags von Leila Kilani, umreißt die Gemütslage vieler der meist weiblichen Protagonisten der Wettbewerbsfilme. Diese Frauen stehen auf der Kippe. Über ihrem – oft einsamen – Kampf um Autonomie und ihrer Suche nach dem Selbst liegt eine entschlossene Anspannung. Man möchte sich nicht mit ihnen anlegen: Badia und Imane pulen Shrimps im Hafen von Tanger. Die Freihandelszone hat sie, wie tausende junger Marokkanerinnen, gelockt mit den Verheißungen des globalen Marktes. Bald stinken den jungen Frauen die unwürdigen Arbeitsbedingungen und sie nehmen sich, was die Welt ihnen verweigert. Die Errungenschaften westlicher Demokratie verteidigt zu haben, glaubt die US-Soldatin Kelli. Return, die Geschichte ihrer Heimkehr nach einem Einsatz, ist die Studie einer Depression in einer depressiven Welt. Doch so weit unten sie auch sein mögen, nie neh-men die Regisseurinnen ihren Protagonistinnen ihre Würde. Die Kellnerin Nana arbeitet als Saisonarbeiterin an der Schwarzmeerküste. Sie ist hier so fremd und allein, wie der Polizist und das Straßenkind, deren Wege sie in Marilivit Tetri (Salt White) kreuzt, doch ihre Haltung ist lakonisch und selbstbewusst.

Die Sexualisierung des Arthousekinos spiegelt auch der Wettbewerb wieder. Eine schonungslose, tabulose Sexualität, losgelöst von Beziehungsoptionen, wie das kathartische Kammerspiel Nuit #1 von Anne Emond. Ihr gelingt die ebenso schroffe wie intime Studie eines One-Night-Stands. Utopische Momente gewinnt das Regieduo Delphine und Muriel Coulin in 17 Filles dem skurrilen Pakt einer Gruppe von Schülerinnen ab, die gleichzeitig schwanger werden. 17 schwangere junge Frauen entwickeln eine immense Imaginationskraft, zumindest einen Sommer lang.

Die Stärke und die Sehnsucht ihrer Protagonistinnen verknüpfen Filmemacherinnen auffallend häufig mit Erzählungen, deren zweiter Hauptdarsteller die Natur ist, wie das metaphorische Coming-of-Age-Drama Zefir. Von der Mutter abgeschoben, lebt die elfjährige Zefir bei den Großeltern in der majestätischen Berglandschaft der Nordtürkei. Ebenso abgeschieden ist die Welt der einst prächtigen Kaffee-Haziendas im brasilianischen Vale do Paraíba, in die eine junge Fotografin eindringt. Geschichten existieren nur, wenn sie erinnert werden. Und so bewahrt Julia Murat mit Histórias que só existem quando lembradas auf humorvollmelancholische Weise eine Ära und eine Lebensart vor dem Vergessen. Ein Ort der Sehnsucht ist auch Spanien in Anja Salomonowitz’ gleichnamigem Film. Spanien als Metapher für Halt und Sicherheit, für das Glück, das alle Figuren in drei intelligent verschachtelten Erzählsträngen suchen.

_Stefanie Görtz

Preisträgerinnen
2022: Gessica Généus Freda (HT / FR / BJ)
2020: Maya Da-Rin A Febre (BR/DE/FR)
2018: Carla Simón Estiu (ES)
2016: Ana Cristina Barragán Alba (EC)
2014: Neus Ballús La Plaga (ES)
2012: Belma Baş Zefir (TR)
2010: Susanna Nichhiarelli Cosmonauta (IT)
2008: Aurélia Georges L’Homme Qui Marche (FR)
2006: Claudia Llosa Madeinusa (PE)

Jury

Xiaolu Guo

Xiaolu Guo wurde 1973 in einem chinesischen Fischerdorf geboren. Mit 19 Jahren ging sie zum Studium der Literatur und Filmwissenschaften an die Beijing Film Academy. Noch als Studentin wurde sie mit dem National Filmwriter Prize für ihr Drehbuch Love in the Internet Age ausgezeichnet. Nach dem Magisterabschluss zog Xiaolu Guo 2002 nach London und machte sich als Filmemacherin und Schriftstellerin einen Namen. 2004 debütierte sie mit The Concrete Revolution, einer Dokumentation über den Bau-Boom in Beijing. Ihr Roman Kleines Wörterbuch für Liebende, (2007/ d 2008) wird in Kürze von Wayne Wang verfilmt. 2009 gründete Xiaolu Guo in London und Beijing das Metaphysical Cinema Syndicate. Es fördert Filmproduktionen, die für ein freies Kino außerhalb konventioneller Erzählweisen stehen. Beim diesjährigen Festival zeigt Xiaolu Guo in der Sektion Panorama ihren Film UFO in Her Eyes. Ab April 2012 wird sie als Stipendiatin der Sparte Film des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin arbeiten.


Filme von Xiaolu Guo (Auswahl)
Once Upon a Time Proletarian 2009 | She, a Chinese 2009 | We Went to Wonderland 2008 | How Is Your Fish Today? 2006 | The Concrete Revolution 2004

Julia Jentsch

Julia Jentsch wuchs in West-Berlin auf, wo sie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch studierte. Ihr erstes Theaterengagement führte sie an die Münchener Kammerspiele. Dort war sie von 2001 bis 2006 Ensemblemitglied. Einem größeren Publikum wurde Julia Jentsch bekannt durch ihre Rolle in Hans Weingartners Film Die fetten Jahre sind vorbei, der 2004 beim Festival de Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Für ihre Rolle als Sophie Scholl in Marc Rothermunds Drama Sophie Scholl – die letzten Tage erhielt sie auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin den Silbernen Bären als beste Schauspielerin, den Deutschen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin und den Europäischen Filmpreis als beste Darstellerin. In Hermine Huntgeburths Literaturverfilmung Effi Briest spielte Julia Jentsch 2009 die Titelrolle.

Lucy Virgen

Lucy Virgen ist Kuratorin, Filmkritikerin und Journalistin. Sie war Mitglied einer Gruppe um den Historiker Emilio García Riera, die an der Universität von Guadalajara das Zentrum für Filmstudien (CIEC) gründeten. Lucy Virgen hat für verschiedene Tageszeitungen gearbeitet, darunter Reforma, Público, Luvina und das Magazin Cinemais. In den vergangenen zehn Jahren moderierte sie eine eigene Radiosendung. Außerdem ist sie Gründungsmitglied des Online-Magazins The Thinking Eye. Von 2006 bis 2010 leitete sie das Internationale Filmfestival in Guadalajara. Während dieser Zeit wuchs sowohl das Festivalprogramm als auch dessen künstlerische Qualität entschieden. Derzeit arbeitet Lucy Virgen bei Ventana Sur, dem lateinamerikanischen Filmmarkt in Buenos Aires, und publiziert nach wie vor Filmkritiken.

17 Girls

Delphine und Muriel Coulin

FR
2011
Spielfilm
90’

»Wir wären nicht wie unsere Eltern.« »Niemals.« »16 Jahre Altersunterschied sind ideal.« »Es gäbe keinen Generationenkonflikt.« »Sie wären Brüder und […]

Nuit #1

Anne Emond

CA
2011
Spielfilm
91’

Clara ist 28, Lehrerin und lebt in Québec. Bei einem Rave begegnet sie dem ukrainischen Künstler Nikolai und landet mit […]

On the Edge

Leïla Kilani

FR / MA / DE
2011
Spielfilm
106’

»Badia ist die ruhelose und komplexe Hauptfigur, die niemals schläft und sich zwischen ihrer Arbeit und den nächtlichen Begegnungen ununterbrochen […]

Return

Liza Johnson

US
2011
Spielfilm
97’

Zwei Personen in einem Auto schauen aus dem Beifahrerfenster in Richtung der Kamera.»Bei all meinen Arbeiten interessiert mich die andauernde […]

Salt White

Keti Machavariani

GE
2011
Spielfilm
80’

Das post-sowjetische Georgien zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Nana arbeitet als Saisonarbeiterin an der Schwarzmeerküste. Ihren Lohn hält sie eisern […]

Spanien

Anja Salomonowitz

AT
2012
Spielfilm
102’

Warum Spanien? »Die Menschen dort fürchten noch Gott. Wo man Gott fürchtet, kann man gut leben.« – Sava Ein Volkswagen […]

BR
2011
Spielfilm
98’

Magdalena: »Ich habe Angst, zu sterben.« Antonio: »Dann sterbe einfach nicht.« Madalena wohnt in Jotuomba, einem heruntergekommenen, überalterten Dorf im […]

Zefir

Belma Baş

TR
2010
Spielfilm
93’

»Der Filmtitel bedeutet wörtlich »leichte Brise, die von Westen weht« und ist eine Anlehnung an den mythologischen Namen für den […]