Endlich wieder auf der Leinwand

Endlich wieder auf der Leinwand

Komikerinnen der 1910er Jahre

»BEIM NÄCHSTEN MAL LIEST DU BESSER.«
DIE MUTTER IN: LEA E IL GOMITOLO

Es war eine der großen filmhistorischen Entdeckungen und Überraschungen der letzten Jahre, wie zahlreich und erfolgreich seit 1910 Komikerinnen in eigenen Serien auftraten. Das Programm Vor Hundert Jahren beim Festival Cinema Ritrovato in Bologna ermöglicht es Jahr um Jahr, unbekannte Filme zu sichten – und regelmäßig festzustellen, dass darin die Dinge anders erscheinen, als sie uns die historiographische Überlieferung und unsere Vorurteile erwarten ließen. Eine Vielheit sozialer Milieus widerspiegelnd und bewegliche, vielfältige Bilder der Geschlechterrollen vermittelnd, widersprechen Filme aus der Zeit um 1910 klar der idée reçu, vor dem Ersten Weltkrieg hätten sich die Frauen in viktorianischer Unfreiheit befunden und die große Zeit der Emanzipation sei die der Zwanziger Jahre gewesen. Jedenfalls für das Kino stimmt das so nicht – erst in den zwanziger Jahren erscheinen die Frauen nur noch als Schauspielerinnen, als passives Material der kreativen Regisseure und entscheidungsmächtigen Produzenten. Vor 1920 waren die Machtverhältnisse nicht derart festgelegt, und das Kino war ein den Frauen zugänglicher öffentlicher Bereich. Als Vergnügungsstätte aber auch als Ort relativ autonomer kreativer Arbeit. Die Schauspielerinnen gestalteten ihre Rollen weitgehend selbst, manche schrieben Drehbücher oder wurden Produzentinnen.
Die Komiker-Serie wurde nach den Anfängen 1909 mit Cretinetti bei Itala ab 1910 vor allem in Italien und Frankreich ein enorm produktives Genre. Die französischen Serienheldinnen Rosalie, Léontine und Cunégonde aber gehören, wie viele ihrer männlichen Kollegen, in die große volkstümliche Tradition der Clowns, sie können hässlich sein, aggressiv und zerstörerisch. Den frechen Kinderprotagonisten der frühen Kinematographie steht der Rollentypus des ungebärdigen jungen Mädchens nahe, der Backfisch oder Tomboy – ganz schlimm, wenn sie zu zweit auftreten wie die britischen Schwestern Tilly und Sally.
Objektivität ist gewiss nicht Sache der filmischen Komik, doch im komischen Register wird, mit Hilfe von Groteske und Übertreibung, die soziale Realität der Machtverhältnisse von Alter, Klasse, Besitz und Geschlecht aufgedeckt. Kränkungen, Groll und Sehnsucht kommen zu ihrem Recht. Unterstützt von der wilden Energie der Populärkultur nehmen die komischen Filmheldinnen – oft Dienstmädchen oder Köchinnen – Rache für die Frauen, die lieber lesen würden als Hausarbeiten machen oder für die sexuellen Belästigungen ausgesetzten Angestellten und Dienstmädchen. Dienstmädchenkino war im deutschen Sprachraum eine pejorative Bezeichnung für das angeblich niveaulose Kino der 1910er Jahre; der destruktive Furor, den Mädchen und Frauen in den komischen Serien bei der Hausarbeit entfalten, legt aber eine interessante Neuinterpretation des Begriffes nahe. Noch bemerkenswerter ist, dass viele dieser Filme hundert Jahre später nach wie vor Gültigkeit haben, uns nach wie vor Genugtuung schenken.

In ihrem Buch über den frühen deutschen Film spricht Heide Schlüpmann über die verborgene Komplizenschaft zwischen dem Kino und der Emanzipation der Frauen. Diese Solidarität ist allgegenwärtig in den Komödien vor dem Ersten Weltkrieg und findet ihren Ausdruck in den diversen weiblichen Rollen, dem Reichtum ihrer Beziehungen und in unerwarteten Lösungsstrategien. So ist sogar folgendes Happy End denkbar: In A Lady and her Maid kollaborieren eine Hausdame und ihr Dienstmädchen, um ein neues Leben zu beginnen, in dem sie dubiose amouröse Offerten von Männern rundweg ausschlagen.

_Mariann Lewinsky Stäuli

A Lady and her Maid

Norma Talmadge (Artist), Florence Radinoff (Artist)

US
1913
Kurzfilm
13’

Zwei komische hässliche Entlein – Belinda und Miss Ophelia – verwandeln sich in zwei wunderschöne Schwäne. Norma Talmadge – später […]

Adoption

Márta Mészáros

HU
1975
Spielfilm
90’

Kata ist Industriearbeiterin, Anfang 40, und sie lebt allein. Um der Einsamkeit und Leere in ihrem Leben zu entfliehen, wünscht […]

Betty and Jane at the Theatre

Sarah Duhamels (Artist), Léontine (Artist)

FR
1911
Kurzfilm
5’

Die pummelige Rosalie (Sarah Duhamel) und die vorlaute Léontine (Name unbekannt) gehen ins Theater und benehmen sich daneben. Vor ihnen […]

Close Combat

Sarah Duhamels (Artist)

FR
1911
Kurzfilm
5’

Als ein Ehemann an seinem Essen herummäkelt, löst das einen wilden Kampf zwischen ihm und seiner Frau (Sarah Duhamel) aus, […]

Cunégonde Has Visitors

N.N. (Artist)

FR
1912
Kurzfilm
6’

Während die Herrschaft verreist ist, bekommt das Dienstmädchen Cunégonde (Name unbekannt) Besuch von seiner Familie. Gemeinsam machen sie sich mit […]

Ein Mädel mit Tempo!

Marie Dressler (Artist), Marion Davies (Artist)

US
1928
Spielfilm
80’

Patricia, genannt Patsy, ist der Blitzableiter in der Familie Harrington. Vor allem von ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Grace […]

Lea and the Ball of Wool

Lea Giunchi Guillaume (Artist)

IT
1913
Kurzfilm
4’

Die Eltern gehen abends aus und die adoleszente Lea (Lea Giunchi) soll fleißig stricken, nicht lesen. Sie verliert sofort das […]

Tilly in a Boarding House

Alma Taylor (Artist), Chrissie (Ada Constance) White (Artist)

UK
1911
Kurzfilm
3’

Tilly und Sally gehen in Männerkleidern auf eine amüsante abendliche Spritztour. Wie immer, bieten sie ihren Opfern – der Obrigkeit […]