Endlich wieder auf der Leinwand

Endlich wieder auf der Leinwand

Böse Frauen

Das Programm Böse Frauen stellt Filme vor, in denen skrupellose und gerissene Frauenfiguren nicht bestraft werden oder büßen müssen für ihre Untaten. Sie sind auch keineswegs anstößige Monster; die unkonventionellen Heldinnen Irma Vep, Diana Monti, Filibus, Mado und die (namenlose) »Apachin« werden eher als attraktive Idole und charismatische Rebellinnen dargestellt. Sie begehen Verbrechen aus lauter Spaß am Abenteuer und Lust am Verbotenen. Sie geben sich so mutig wie gefährlich, so einfallsreich wie bösartig, und so bezaubernd wie kaltherzig. Die Ängste, die sie dem Publikum potenziell einflößen könnten, verflüchtigen sich in einem befreienden Vergnügen an ihrer Verschmitztheit und Fantasie.
Immer wieder wissen diese Frauen die Polizisten, Detektive oder Journalisten, die nach ihnen fahnden, mit einfallsreichen Tricks und geschickt eingesetzten traditionellen oder modernen Hilfsmitteln zu überlisten. Wenn eine einmal halbwegs gefasst wird, entkommt sie wieder; von Strafe oder Sühne ist nie die Rede. In diesen humorvollen Filmen wird der übliche Moralismus mit Komik und Spielerei überwunden. Einige Frauen lassen zwar zum Schluss ihr Leben, aber das besagt wohl kaum, das Böse sei effektiv besiegt worden. Keine der Frauen wird nämlich von ihren
Fahndern umgelegt, so dass sie ihnen als Tote eher noch einmal entwischen. So zeigen die Filme ein außergewöhnliches und amüsantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Strenge und Verschmitztheit, Gewalt und Fantasie, Kontrolle und Entwischen. Nicht selten werden dabei die Vertreter der Verbrechensbekämpfung lächerlich gemacht, oder wird
deren Kompetenz in Frage gestellt. So wird Schadenfreude zu Schelmerei.
Das Interessante ist, dass es hier um etwa einhundert Jahre alte Filme geht. Der Älteste ist La tournée des grand ducs (Frankreich, 1910) mit der Apachin – in diesem Kontext ein weibliches Mitglied der jugendlichen Banden in Paris um 1900 – als Hauptbösewicht. In dieser Komödie werden die »Apachen« dargestellt als ein Medienphänomen, das von ihren bürgerlichen »Opfern« benötigt wird bei deren Suche nach Nervenkitzel und Unterhaltung. Die Kriminalserien Les Vampires (F 1915/16) mit Irma Vep und Judex (F 1917) mit Diana Monti wurden als Gegenstücke zu den populären amerikanischen Serien mit abenteuerlustigen Frauen konzipiert. Die amerikanischen Heldinnen waren zwar unternehmungslustig und waghalsig, aber den Regeln des Genres zufolge auch schuldlos und aufrichtig. Das sind Irma Vep und Diana Monti ein für allemal nicht. Irma Vep ist Mitglied einer Bande von Juwelendieben und eine geschickte Fassadenkletterin; Diana Monti ist eine verlogene Verführerin und stiftet ihre Liebhaber immer wieder zu Untaten an. Beide schrecken vor nichts zurück: Entführung, Vergiftung, Diebstahl, Erpressung und Augenwischerei sind ihre Spezialitäten. Sie bedienen sich also aller klassischen Formen der populär-literarischen Meisterkriminalität. Zu den Entstehungsgeschichten von Filibus (Italien 1915) und L’uomo meccanico (I 1921) ist sehr wenig bekannt, aber auch die Hauptfiguren Filibus und Mado gehen ohne Skrupel ihren kriminellen Interessen nach. Jede setzt dabei avancierte Technologien ein: Filibus ist eine Luftpiratin mit eigenem Luftschiff, Mado bedient sich eines riesengroßen Roboters bei ihren Raubzügen. Zudem sind die Italienerinnen die offensichtlichen Bandenchefinnen, während die Französinnen das nur inoffiziell sind. Für alle gilt aber, dass sie ihre Taten unverfroren genießen und ihren gesetzlichen Verfolgern und gesellschaftlichen Opfern mit Einfallsreichtum und Charme spotten. Noch – oder gerade – heute können  wir uns an der verschmitzten Frechheit dieser bösen Frauen erfreuen.

_Annette Förster