Internationaler Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Internationaler Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen

Sperrige Frauen, die nicht untergehen müssen

Regisseurinnen, die mit prestigeträchtigen Preisen (BAFTAS, Oscars) ausgezeichnet werden – das ist neu. Singuläre Ereignisse oder »the first of many«, wie die erste Regie-Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow hofft; die kommenden Jahre werden es zeigen. Die Arbeiten der Frauen, die ihren ersten Film vorstellen, geben Grund zur Hoffnung. Die Einreichungen zum Internationalen Debüt-Spielfilmpreis für Regisseurinnen waren in diesem Jahr so stark wie nie. 90 Filme aus über 40 Ländern gingen in die Vorauswahl zum Wettbewerb um den Preis von 10.000 Euro. Vom bewegenden Erzählkino reicht die Spanne bis zu widerspenstigen Low-Budget-Produktionen.
Die Kraft und das größte Überraschungsmoment stecken in dem Personal, das die Regisseurinnen, die zumeist auch die Autorinnen ihrer Filme sind, entwickeln. Sie schaffen weibliche Figuren, die unangepasst sind, unbequem oder unsympathisch. Das Leben meint es nicht unbedingt gut mit ihnen, ihre Strategien sind nicht immer von Erfolg gekrönt, aber sie dürfen so bleiben wie sie sind. Manche von ihnen haben Partner, die diese Persönlichkeiten aushalten und wollen – weibliche Sperrigkeit wird nicht mehr zwingend mit Beziehungslosigkeit geahndet.
Sophie Deraspe schickt ihre junge Protagonistin in Les signes vitaux nach dem Tod der Großmutter auf eine innere Sinnsuche. Die führt über die Arbeit auf einer Palliativ-Station zu einer obsessiven Auseinandersetzung mit Fragen von Leben und Tod, die den On-and-off-Liebhaber lange außen vorlässt. Sarah Leonor erweist sich in Au Voleur als vielversprechende Schauspieler-Regisseurin. Sie stellt dem intensiven Guillaume Depardieu in seiner letzten Rolle als Kleinganove mit Florence Loiret Caille eine Darstellerin an die Seite, der der Sprung von der bürgerlichen Lehrerinnen-Figur hinüber in den kurzen Traum vom Bonnie&Clyde-Glück mit spielerischer Leichtigkeit gelingt.

Léa Fehner, die schon für das Drehbuch von Qu’un seul tienne et les autres suivront ausgezeichnet wurde, führt in ihrem brillant verschachtelten Episodenfilm das Leben von drei Figuren im Besuchsraum eines Gefängnisses zusammen. Ein Gefängnis in der libanesischen Wüste ist auch das Ziel in Dima El-Horrs Film Chaque jour est une fête. Unvergessliche Bilder erzählen von dem unbequemen und bedrohlichen Trip dreier Frauen in einem Land, das nicht zur Ruhe kommt.
Die Coming-of-Age-Komödie Cosmonauta führt ins Italien der 1960er Jahre. Ihre Leidenschaft für die russische Weltraummission und die kommunistische Partei macht aus der 15-jährigen Luciana alles andere als eine begehrte Ragazza. Aber sie hält durch. In bester British-Cinema-Tradition beschreibt Sallie Aprahamian in Broken Lines eine Liebe, die nur möglich wird durch den Ausnahmezustand, in dem sich die Liebenden für kurze Zeit befinden. Surreal mutet dagegen Agua fría de mar von Paz Fábrega an. Die Tiger Awards Preisträgerin verknüpft geheimnisvoll die Leben einer 7-jährigen Ausreißerin und einer bürgerlichen jungen Frau am Strand der Pazifikküste Costa Ricas. Eine flexible Frau ist die arbeitslose Berliner Architektin Greta, 40, nicht und versucht doch mit aller Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen. Der deutsche Beitrag von Tatjana Turanskyj ist eine feministische Standortbestimmung, wie man sie lange nicht sah.

Was von dieser beeindruckenden Vielfalt weiblichen Filmschaffens schließlich in die Kinos kommt, das ist eine andere, weniger frohe Geschichte. In jedem Fall sind sie zahlreich: die Regisseurinnen, auf deren nächste Arbeiten man
mit großer Neugierde warten kann.

_Stefanie Görtz

Jury

Dr. Jessica Eisermann

Dr. Jessica Eisermann studierte in Köln, Florenz und Berlin Soziologie, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Kunstgeschichte und Politische Wissenschaft. Von 1993 bis 1997 war sie Stipendiatin am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, wo sie 1999 mit dem Thema Mediengewalt: Die gesellschaftliche Kontrolle von Gewaltdarstellungen im Fernsehen promovierte. Jessica Eisermann war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft der Universität zu Köln. Sie arbeitete als Medienforscherin für die Multimediaagentur Pixelpark und war Redakteurin bei Grundy Light Entertainment. Seit 2001 ist sie beim WDR tätig, unter anderem als stellvertretende Leiterin der Unternehmensplanung und Strategie, seit 2009 ist Jessica Eisermann Redaktionsleiterin des Senders Einsfestival.

Mirjana Karanović

Die Schauspielerin und Dozentin Mirjana Karanović wurde 1957 in Belgrad geboren und hatte 1980 ihr Debüt in dem Film Petrijin venac. International bekannt wurde sie durch Emir Kusturicas Film Otac na službenom putu (Papa ist auf Dienstreise). 2003 übernahm sie eine Rolle in dem kroatischen Film Svjedoci und war so die erste serbische Schauspielerin, die nach dem Jugoslawienkrieg wieder in Kroatien drehte. Unter der Regie von Jasmila Žbanić spielte sie in dem bosnischen Film Grbavica (Esmas Geheimnis), der 2006 bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann. Für Here and There von Darko Lungulov wurde sie 2010 beim Filmfestival Belgrad mit dem Kritikerpreis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. Zuletzt wirkte Mirjana Karanović in Jasmila Žbanićs neuem Film Na patu mit, der im Wettbewerb der Berlinale 2010 seine Weltpremiere hatte und das diesjährige Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln eröffnet.


Filme mit Mirjana Karanović (Auswahl)

Na patu (On the Path) 2010 | Here and There 2009 | Memory Full 2008 | Das Fräulein 2006 | | Grbavica (Esmas Geheimnis | Esma’s Secret) 2006 | Go West 2005 | Das Leben ist ein Wunder 2004 | Underground 1995 | Otac na službenom putu (Papa ist auf Dienstreise | When Father Was Away On Business) 1985 | Petrijin venac 1980