Vor der Kinoleinwand stehend positioniert sich Karolin Meunier zwischen Bildern und Worten, um sich dem Leben der amerikanischen Schauspielerin, Drehbuchautorin und Filmemacherin Barbara Loden anzunähern. Die Performance Aller-retour et aller geht davon aus, das eigene Leben durch das einer anderen Person reaktivieren zu können – und meint damit mehr als das bloße Nachahmen, Imitieren oder Stehlen einer anderen Identität. Wenn Loden sagt »Ich bin Wanda«, verschwindet sie in zwei Figuren oder taucht vielmehr aus ihnen wieder auf: die Protagonistin ihres Spielfilms Wanda (1970) und Alma Malone, eine Frau, die 1960 bei einem Banküberfall verhaftet wurde und Loden inspirierte. Diesem Wunsch Lodens, sie selbst zu werden, indem sie Wanda verkörpert, spürt Meunier nach, indem sie mit Frauen in Dialog tritt, deren Geschichten absichtlich oder zufällig auf die von Loden/Wanda gestoßen sind. Wie auch die französische Autorin Nathalie Léger auf ihrer Reise auf den Spuren der Filmemacherin herausgefunden hat, entgleitet uns diese immer dann, wenn wir glauben, ihr Leben erfasst zu haben; sie/Wanda irrt umher und nimmt die Gestalt des unbestimmten Begehrens einer anderen an. Ein Netz aus sich überschneidenden, aber nicht miteinander verknüpften Geschichten zu weben, erweist sich daher als generative Forschungsmethode, um Lodens Bewegungen und Metamorphosen zu begreifen: Meuniers Schreiben; ihr Gespräch mit einer Freundin; die Fotos, die ihre Mutter auf ihrer Reise nach Pennsylvania 1960 machte … Wie Léger in Supplément à la vie de Barbara Loden (2012) bemerkt, sind es gerade die scheinbar unbekannten Räume, in denen wir die noch nicht sichtbaren Teile unserer Existenz wahrnehmen können. (Clio Nicastro, »Die Möglichkeit einer Rückkehr«, in: Karolin Meunier, Aller-retour et aller, HaFI 017, Berlin 2023)
Karolin Meunier
Karolin Meunier ist Künstlerin und Autorin. Ihre Performances, Texte und Videoinstallationen verhandeln den sprachlichen Zugriff auf Erfahrung durch kulturelle Techniken. Sie forscht zu feministischen Schreibstrategien, Übersetzungsprozessen, Lernmethoden und Politiken des Dialogs in Film und Literatur. Meunier ist Mitglied der kollektiven Verlagsbuchhandlung b_books in Berlin. Ihr Künstlerbuch zu einem Werk der italienischen Feministin Carla Lonzi erscheint 2024. Das Performance-Skript von Aller-retour et aller erschien 2023 in der Publikationsreihe des Harun-Farocki-Instituts.