Vergnügungen und öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende – Ein Salongespräch mit historischen Bildern

Vergnügungen und öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende – Ein Salongespräch mit historischen Bildern

Lisa Kosok

BETTY SCHIEL IM GESPRÄCH MIT LISA KOSOK

Die Industrialisierung des Ruhrgebiets war spezifisch. Sie formierte nicht nur einen Verstädterungsprozess, der heute mit dem Begriff »Revier der großen Dörfer« charakterisiert wird. Hier entwickelten sich im Umfeld industrieller Großanlagen besondere Wohn-, Lebens- und Nachbarschaftsverhältnisse, in denen die Kneipe eine herausragende Stellung einnahm. Aber auch die Stadtzentren besaßen ihre Eigenarten. In der Regel in Bahnhofsnähe entstanden Vergnügungsviertel oder -straßen, die den Freizeitbedürfnissen einer jungen, mobilen, in der Mehrzahl männlichen Bevölkerung nachkamen. Sie waren Orte der Beobachtung, der Kontrolle, des Kommerzes, der Zensur, aber auch Kontaktzonen, performative Orte der Verausgabung und des exzessiven Feierns wie der unmittelbaren Entlastung von den Zumutungen einer harten Lebensrealität.

Variétés, Zirkusschauen, Automatenrestaurants, Kinos, Vergnügungsparks boten Einblicke in exotisch-fremde Lebenswelten: Staffagen, Modellwelten, Attrappen und Maskeraden allenthalben. Für besondere Anlässe, wie etwa den Besuch des Kaisers anlässlich der Einweihung des Dortmunder Hafens, wurden ganze Häuserfassaden aufwändig mit Kulissen dekoriert. Inwieweit die Vergnügungsstätten ein Experimentierfeld urbaner Lebensweisen darstellten und auch Frauen Freiräume boten, soll in einem bebilderten Gespräch reflektiert werden. Käthchen Paulus’ waghalsige Flugschau mit einem Fahrrad-Luftballon, eine Damenkapelle oder Fritzi Massarys als Tonbild festgehaltene Gesangsdarbietung als kleines Kohlenmädchen sind Beispiele für die spektakulären Darbietungen dieser Zeit. Historische Plakate, Postkarten, Fotos und Werbeanzeigen und zwei Kurzfilme aus der Pionierzeit des Kinos dienen als vergnügliches Anschauungsmaterial.

Wer waren die Akteur*innen auf dem Feld der Lustbarkeiten? Welche Rollen nahmen Frauen ein? Wer und was wurde reglementiert und überwacht? Wozu diente die Maskerade? Gab es ein emanzipatives Potenzial? Betty Schiel und Lisa Kosok versuchen, Möglichkeiten und Grenzen auf dem Feld des Vergnügens auszuloten.

Lisa Kosok

Lisa Kosok ist Historikerin und Museumswissenschaftlerin. Nach Studium und Forschungstätigkeit an der Ruhr-Universität Bochum wechselte sie als Kuratorin ans Ruhr Museum Essen. Seit 1993 lebt sie in Hamburg und war u. a. Direktorin des Museums der Arbeit, des Museums für Hamburgische Geschichte und des Europäischen Hansemuseums in Lübeck. Seit 2016 ist sie Professorin für Kulturerbe und Museumswissenschaften an der HafenCity Universität Hamburg. Aktuell entwickelt sie eine Lehr- und Forschungssammlung und leitet ein EU-Forschungsprojekt über Vergnügungsquartiere in Europäischen Hafenstädten.