No Home Movie
Chantal Akerman
»Ich bin keine feministische Filmemacherin. Ich bin Feministin – und Filmemacherin. Ich bin aber auch jüdisch. Geboren in Brüssel. Und lesbisch. Und nichtlesbisch. Und Jahrgang 1950. Ich bin so viele Dinge. Es gibt immerhin schlimmeres, als eine radikale Künstlerin genannt zu werden, jedenfalls ist mir diese Bezeichnung lieber als ›feministische‹ oder ›jüdische Filmemacherin‹. Ich hasse es übrigens, zu schwul-lesbischen Festivals zu fahren – jüdische oder Frauenfilmfeste besuche ich manchmal, aber das ist alles bloß Klassifikation. Die Dinge sind komplexer.«
– Chantal Akerman, zitiert nach Stefan Grissemann »Die Wahrheit des Augenblicks«, in: kolik.film, Sonderheft 24 / Oktober 2015
»[No Home Movie] ist vor allem ein Film über meine Mutter, die nicht mehr lebt. Über eine Frau, die 1938 nach Belgien kam, nachdem sie vor den Pogromen und der Misshandlung aus Polen geflohen war. Wir sehen sie nur in ihrer Wohnung, sonst nirgends. Einer Wohnung in Brüssel. […] Der Film beginnt mit einem windgepeitschten Baum in der Wüste. Die Einstellung dauert ewig. So habe ich es empfunden, statisch, wie einen Anfang – ein Standbild, aber voller Bewegung, Tosen und Heulen. Es scheint, als würde es niemals enden, aber dann endet es doch. Eine Szene ohne Sonne, mit grauem, diffusem Licht, ohne Kontraste, beigem Licht. Darauf folgt eine sonnige Szene in einem Park in Brüssel, die gewiss im Frühling gedreht wurde, wenn das Gras so leuchtend grün ist, dass es dich blendet. Im Vordergrund ein alter Mann in Rückansicht, der auf einer Parkbank sitzt. Das Grün war nötig nach all dem Sand, die Ruhe nach dem Sturm ein Bedürfnis. Und genau so ist der Film auch geschnitten: Die Szenen sollen keine Informationen vermitteln, sie funktionieren emotional, indem sie die Zuschauer *innen bewegen, berühren. Die Handlung schreitet in winzigen Schritten voran, in etwa so wie wir diese Brüsseler Wohnung betreten, in der sich eine Frau mit der zerbrechlichen Anmut einer Person bewegt, die versucht, auf schwankendem Boden die Balance zu halten. Eine Frau, die sich nicht gehen lässt …«
– Chantal Akerman
Chantal Akerman
1950 als Tochter polnisch-jüdischer Emigranten in Brüssel geboren. Mit siebzehn drehte sie ihren ersten Kurzfilm, Saute ma ville, und brach ihr Studium an der Filmhochschule INSAS ab, ebenso wie später ein Studium der Theaterwissenschaften. 1972 ging sie für zwei Jahre nach New York, wo Experimentalfilmer wie Michael Snow und Jonas Mekas ihre Arbeit prägten. Der Durchbruch gelang 1975 mit ihrem zweiten Spielfilm Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles. Ihr Œuvre beläuft sich auf über vierzig Filme. 2004 würdigte das Centre Pompidou Akerman mit einer Ausstellung ihrer Filme aus fünf Jahrzehnten. Bis zu ihrem Tod 2015 lebte sie in Paris, Brüssel und New York.
Filme von Chantal Akerman (Auswahl)
Demain on déménage (Morgen zieh‘n wir um) 2003 | De l‘autre côté (Jenseits von Sonora-Mexiko) 2002 | Un divan à New York (Couch in New York) 1995 | D‘Est (Aus dem Osten) 1993 | Nuit et Jour (Die Nacht, der Tag) 1991 | Histoires d‘Amérique (American Stories) 1988 | Golden Eighties 1986 | J’ai faim, j’ai froid (I ́m Hungry, I ́m Cold) 1984 | Un jour Pina m‘a demandé (Eines Tages fragte mich Pina) 1982 | Je, tu, il, elle (Ich, du, er, sie) 1974